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Die größten Überraschungen dieser Generation - Martin

Wie brutal, retro, klein und fein, zornig und sportlich die Welt doch sein kann.

Die größten Überraschungen dieser Generation - Martin

Das ist es doch eigentlich, worum es geht. Zumindest für mich. Die Spiele, die man einlegt, um sich auf etwas einzulassen, das man nicht kommen sah. Etwas, das einen mitnimmt und lange begleitet, obwohl man nur einen normalen Donnerstagabend erwartete, und einen daran erinnert, warum sich dieses Hobby auch nach 30 aktiven Jahren immer noch lohnt. Und da gab es für mich diese Generation einen Kandidaten, der ganz vorne steht.


Demon's Souls (PS3)

Es gab mal eine Zeit, wo es fast normal war, nicht zu wissen, worauf man sich jetzt genau bei einem Spiel einlässt. Genres haben sich schnell etabliert, keine Frage, Sequels genauso. Aber es gab immer wieder Spiele, die anders waren - zumindest in Teilen -, als das, was man kannte. In meiner subjektiven Wahrnehmung sind es seit Mitte der 90er immer weniger geworden. Das mag mit der eigenen Erfahrung und Routine zusammenhängen - ziemlich sicher sogar -, aber auch damit, dass die "großen" Spiele nicht mehr so viel Mut zur Lücke mitbringen können, wollen sie die Erwartungen erfüllen. Erwartungen haben nun mal nichts mit Überraschungen zu tun. Auftritt Demon's Souls.

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Das von Alex nicht ganz zu Unrecht totgesagte AA-Segment musste herhalten, damit ich mich einmal in dieser Generation so fühlen durfte, als hätte ich noch nie ein Spiel gespielt. Es setzte mich einem rigorosen Lernprozess aus, wollte ich auch nur zehn Schritt weit kommen. Es gab sich danach immer noch mehr als nur kryptisch und ich musste wie jeder andere auf dieser Reise um jedes Geheimnis kämpfen. Nichts war ausgeschildert, wenig wurde erklärt und freiwillig rückte dieses Spiel nichts heraus. Allein das zu erleben, war die erste gewaltige Überraschung. Die zweite war, wie viel Spaß ich mit diesem unzugänglichen, dunklen Behemoth von einem Spiel hatte. Die größte Überraschung jedoch ist der Erfolg. Als ich es spielte, hätte ich keinen Cent darauf gewettet, dass da noch mal was folgt. Nicht in diesem von Erwartungen getriebenen Umfeld. In ein paar Monaten kommt Teil drei. Sein Problem könnte sein, dass er Erwartungen erfüllen muss.


XBLA und Co.

Xbox Live Arcade? Whatever. Ich kann nicht behaupten, dass ich mich zum Start des kleinen, unscheinbaren Stores damals groß drum gekümmert hätte. Kleine Spiele, keine, die mich zu der Zeit interessierten, ich war noch nicht ganz soweit. Seitdem sind die Marktplätze für die kleinen, feinen Dinge des Lebens - Braid, Trials, Shadow Complex und so viele mehr - nicht mehr wegzudenken. Ob nun Wii, PS3 oder eben Xbox, jede Plattform bot schon wenig später ein solides Programm mit immer wieder exklusivem Material, Hits und Flops.

Das erste Spiel auf XBLA: UNO. Jeder muss mal irgendwo anfangen.Auf YouTube ansehen

Es überrascht mich bis heute, wie viel Geld ich dort ausgegeben habe - trotz aller Legenden kriegen wir Spieleredakteure keineswegs alles umsonst -, wie viel Spaß ich dort immer wieder finde, und dass es einen Platz und eine Chance für Spiele gibt, die wahrscheinlich nie jemand auf eine Disc gepresst hätte. In der nächsten Generation wird es durch die Selbstverständlichkeit von Download-Angeboten noch viel mehr werden, der Kampf um die kleinen Spiele ist bei den Plattformbetreibern eh schon lange im vollen Gange und es ist schon jetzt ein fester Bestandteil der Spielewelt. Gut so. Für mich ist es aber eine der Überraschungen der Generation, dass es nur zwei, drei kurze Jahre dauerte, bis das von mir zuerst ignorierte bis belächelte XBLA und seine Konkurrenten eine feste, geschätzte, nicht mehr wegzudenkende Größe in meiner eigenen Konsolenerfahrung wurde.


Assassin's Creed 4

Das heißt nicht, dass ich nur noch Zeit mit den Kleinen verbringen würde. Eine Serie, die sicher zu den prägendsten der Generation gehört, ist Assassin's Creed, egal, ob man es nun mag oder nicht. Im Großen und Ganzen mag ich es, aber nach dem Highlight Brotherhood waren definitive Abnutzungserscheinungen spürbar. So sehr ich den inhaltlichen Ansatz der Nummer drei schätze, ich hätte keinen Pfennig drauf gewettet, dass die offizielle Nummer vier irgendwas reißen würde. Im Geiste hatte ich schon das Fazit geschrieben: "Es endet, wo wir vor sechs Jahren begannen: mit 7 Punkten."

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Man kann immer wieder mal daneben liegen. Man muss es dann nur eingestehen. Mein entnervter Artikel "5 Gründe, warum ihr jetzt schon wisst, dass ihr Assassin's Creed 4 spielen müsst (oder eben auch nicht)" zeugt von meiner Grundhaltung zu dem Thema. Als ich mich dann aber nicht nur den Test schrieb, sondern mich auch der Effizienz halber gleich nebenbei noch durch die Lösung schlug, merkte ich, wie sehr ich mich verschätzt hatte. Derzeit zwinge ich mich dazu, es nicht zu spielen. Weil ich es auf der Next-Gen noch mal erleben möchte. Dass selbst eine so eingefahrene, routinierte Serie mich trotz aller initialen Ablehnung so erwischen kann, ist eine positive Überraschung zum Ausklang der Generation.


Darksiders 2

Ja, der Erste war gut. Wirklich und ich verstehe es. Nur so viel Spaß wie erwartet hatte ich mit dem etwas langsamere "Zelda für Erwachsene" dann doch nicht. Ob es der Hauptcharakter war oder das etwas einmütige Setting, ich kann es gar nicht so genau sagen. Von dem Nachfolger habe ich dann auch, gerade nach einer Anspielsession mit miserabel eingestellten Monitoren und komplett unfertiger Kameraführung, keine Wunder erwartet.

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Was ich dann zu meiner großen Freude bekam, ist das, was ich als "das letzte große Action-Adventure der PS2-Ära" bezeichnen würde. Ich meine das als ganz großes Lob. Ein solches "klassisches" Videospiel noch einmal zu sehen, das sich zu einem gewissen Grad gegen Trends auflehnt, als dass es klare, Arcade-artige Mechaniken in den Vordergrund stellt und das Ganze in ein großes Action-Adventure packt, dessen Ablauf frei, aber nicht orientierungslos ist, war erfrischend. Es wirkt wie das perfekte Projekt, das sich jemand 2003 ausdachte, dann aber zuerst nicht umsetzen konnte, weil die Technik noch nicht so weit war. Jetzt gab es sie, nur der Trend hatte sich anders entwickelt. Design und Ablauf wirkten ein wenig aus der Zeit gefallen. Auch deshalb war es eine Überraschung. Vor allem aber, weil es auch gerade deshalb so viel Spaß machte.


Call of Duty: Modern Warfare

Call of Duty ist normalerweise natürlich das perfekte Gegenbeispiel zu Demon's Souls. Es spielt nicht mit den Erwartungen, sondern erfüllt sie auf den Punkt. Mit einer Ausnahme: Modern Warfare. Es dürfte der vielleicht größte einzelne WTF-Moment der Generation gewesen sein. "Oh. Die Atombombe explodiert. Wir sind ein wenig spät dran. Na mal sehen, wie unser Soldat da wohl wieder rauskommt. Oh ... es scheint ihm jetzt aber wirklich nicht so gut zu gehen ... Hm ... ich kann nur noch kriechen ... Ich bin tot? So richtig?"

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Dass ein Spiel einen dermaßen entgegen aller Erwartungen aus der Bahn wirft, ist extrem selten und weder den folgenden Modern Warfares, noch den Black Ops und ganz sicher nicht Ghosts gelang es auch nur annähernd, dieses Kunststück zu wiederholen. Ich muss auch sonst weit zurückdenken, wo dies das letzte Mal in der Intensität passierte. Wahrscheinlich in Ultima 5, als ich Lord Blackthorn das Mantra nicht verraten wollte und feststellen musste, dass der Mann keine leeren Drohungen ausspricht. Dass es manchmal auch in Videospielen keine Rettung in letzter Sekunde gibt. Dass keine Deus ex Machina einen in den Limbo zurückwirft, bereit für die nächste Runde. Dass der Tod auch in einem Videospiel von Zeit zu Zeit final sein kann. War eine ganz schöne Überraschung, das kann ich euch sagen.


Wii Sports

And now for something completely different. Ich war mit der Wii nicht unbedingt rundherum zufrieden, wie ich in der letzten Woche schon zart andeutete, aber gleichzeitig habe ich den Kauf keine Sekunde bereut. Aus dem einfachen Grund, dass es das wahrscheinlich einzige Mal war, dass ich zusammen mit meiner Frau ein Videospiel gespielt habe. Oder auch mit anderen Leuten, die so gar nichts mit der ganzen Kiste des elektronischen Unterhaltsspiels am Hut haben. Und dass ich jemals selbst an einer Runde virtuellem Bowling Spaß haben würde, war auch schon keine kleine Überraschung.

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Wahrscheinlich muss man es nur richtig machen, dann klappt es auch. Es ist nicht schwer zu sehen, woher der Appeal kam. Ein Blick auf die grundsätzliche Funktionsweise einer Jahrmarktsattraktion reicht und im Grunde ist Wii Sports genau das. Es zeigt etwas Vertrautes, das die Leute sofort verstehen und mögen. Wie gut das klappt und wie viel Spaß man plötzlich mit etwas haben kann, dass man als "ernster" Videospieler erst mal als billiges Gimmick ablehnte, hat mich dann doch überrascht. Und zwar auf die beste aller möglichen Arten. Es ist ein Trick, von dem ich inständig hoffe, dass Nintendo ihn noch einmal wiederholen kann.


Ich "shooter" mit dem Pad auf der Couch

In der Generation davor, auf der PS2 oder Xbox, spielte ich keine Shooter auf der Konsole. Vom PC kommend konnte ich mir das mit den zwei Sticks nicht vorstellen. Die ersten Gehversuche endeten so beschämend, dass ich die Idee allein für schwachsinnig erklärte und es sein ließ. Dann kam die Xbox 360 und die PS3 und mit ihr Lost Planet, Uncharted und Zombies im Kaufhaus. Ich liebte diese Spiele, aber wie sollte ich sie spielen? Mit einem Pad? Absurd!

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Aber was muss, das muss, und so setzte ich mich hin und übte. Das 360-Pad halte ich dabei sowieso für einen dankbaren Freund und schon bald ging es ... ganz gut. Auf der Couch zu lümmeln, vor einem großen LCD-TV, um einen herum der DTS-Sound einer guten Anlage, das macht doch gleich mehr Spaß. Inzwischen habe ich verlernt, mit Maus und Keyboard zu spielen. Zumindest bin ich soweit aus der Übung, dass ich im Zweifelsfalle schnell wieder zum Pad greife. Die Konsolen haben mich beim Shootern vom Schreibtisch-Kauerer zum Couch-Fläzer transformiert, vom Maus-Künstler zum Pad-Jockey. Ob das gut ist oder nicht, lasse ich mal selbst für mich wertneutral offen, aber eine Überraschung war es schon, dass das so zügig passierte.


RAGE

Wenn wir schon beim Thema Shooter sind: Ich mag RAGE. Wirklich. Das Western-Endzeit-Setting erwischte mich genau richtig und das Design sieht klasse aus. Vor allem aber ist etwas, das ich normalerweise dezent als überbewertet weglächle, in dem Wissen, dass dem nicht so ist. Das Verhalten der Waffen, wie es sich anfühlt zu ballern, sitzt bei diesem Spiel für mich absolut auf den Punkt, und zwar so gut, dass ich bis heute immer wieder mal das Spiel hervorkrame, um ein paar Runden durch das Wasteland zu drehen.

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Ich sehe die Probleme, die das Spiel vor allem inhaltlich hat, aber das ist mir am Ende egal. Wie viel Spaß der eigentlich so simple Prozesse des Ballerns in einem Videospiel machen kann, überrascht von Zeit zu Zeit immer wieder und RAGE ist einer meiner persönlichen Favoriten, wenn ich mich daran erinnern möchte.


Skate

Ich war nie ein Tony-Hawk-Fan. Das ganze Tastengedrücke fühlte sich für mich nie richtig an und angesichts der Dominanz der Serie war das Skate-Genre damit auch ein wenig unerreichbar. Dann kam Skate von Electronic Arts und mit zwei Sticks sah die Welt plötzlich ganz anders aus. Aus einem Test, dem ich mich sehr widerwillig stellte, wurde vielleicht keine Leidenschaft, aber doch eine Freundschaft, die bis heute gehalten hat.

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Es gab Tiefen (Skate 2) und Höhen (Skate 3), wie es sich gehört, man verliert sich länger mal aus den Augen, aber dann stolper' ich am Spieleregal drüber und lege es gleich mal wieder für eine Runde ein. Ich hoffe inständig, dass EA diese Freundschaft in der nächsten Generation auffrischt, aber bis dahin gehört es zu den schönen Überraschungen, dass sich langfristiger Spaß in einem Genre finden lässt, in dem man es nie vermutet hätte.


So gut kann Retro sein

Die Entwicklung von Last-Gen in HD zu den jetzigen High-End-Titeln, die die Generation an die letzten Grenzen treiben, ist nicht überraschend, das kennt man mittlerweile gut und insoweit ist auch die technische Qualität, die einige der Titel vorweisen, keine so große Überraschung. Was mich jedoch umgehauen hat, immer wieder mal, wenn auch sicher nicht bei jedem Versuch, war, was man aus wenig Pixeln immer noch für Spiele machen kann, wenn man es nur richtig macht.

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Ich komme grad von einer Runde Retro City Rampage, davor war es Miami Hotline, bei FEZ bin ich mir nicht ganz sicher, ob dieser so coole wie intelligente Effekt überhaupt Retro genannt werden sollte. In dieser Generation ist Retro weit über das schale, semi-intellektuelle dahinschwülstende "Früher-war-alles-besser-und-dieses-Spiel-sowieso"-Geseier hinausgewachsen - dem man sich trotzdem von Zeit zu Zeit gern hingibt, weil es ja auch Spaß macht. Das Retro der letzten Jahre ist frisch, lebendig und ein wunderbarer Widerspruch in sich, weil es eben so neu und neuartig ist. Was für eine wundervolle Überraschung.


Wie es so lief? Better than Halo, würde ich sagen.

Spoilerwarnung, jetzt wird es kurz pathetisch und ein wenig peinlich. Wer das nicht abkann, sollte schnell weiterscrollen. Diese Generation ist für mich persönlich insoweit etwas ganz Besonderes und Überraschendes, als dass ich jetzt und hier in dieser Funktion diese Zeilen schreibe. Als die Xbox 360 erschien, war ich eine zarte Schreiberpflanze, die eigentlich in einer ganz anderen, sehr viel ernsteren, sicher nicht reizlosen, aber nicht annähernd so unterhaltsamen Branche arbeitete. Ich habe seitdem viel gelernt und das habe ich nicht nur harter Arbeit, sondern sowohl all den Leuten zu verdanken, mit denen ich in den letzten Jahren arbeiten durfte, als auch ... euch.

Ihr, die Leser, seid manchmal nervig, manchmal nörgelig, manchmal unausstehlich, aber ihr sei sicher nie langweilig und jeder einzelne, allen voran alle, die hier fleißig, manchmal Tag für Tag die Geschehnisse und unsere Artikel kommentieren, ihr seid einfach das Salz, ohne das alles hier schal und langweilig wäre. Wir, ich spreche jetzt einfach mal für den Rest der Runde, nehmen euch ernst - meistens wenigstens -, freuen uns auf und über eure Meinung - selbst wenn wir nicht immer übereinstimmen - und wissen euer Interesse, euren Enthusiasmus und euren zivilen Umgang miteinander zu schätzen. Danke, dass ihr hier seid und uns durch diese Generation begleitet habt.

Wo ich am Ende dieser Generation im Leben stehe, ist also rückblickend für mich die größte Überraschung und ich freue mich wirklich auf die nächste Runde. Ich könnte mir keinen besseren Ort und keine bessere Gesellschaft vorstellen, um sie zu starten.

Das erste Spiel der letzten Generation: Kameo, 7.11.05Auf YouTube ansehen