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Die Spiele der Zukunft

"Das Holo-Deck steht vor der Tür"

Eurogamer Sie sind, wie man merkt, selbst begeisterter World-of-Warcraft-Spieler und vertreten die Meinung, dass das zugehörige Fantasy-Universum nicht so beliebt und sogar süchtig machend sei, weil es fremdartig ist, sondern der realen Welt ähnlicher als die Wirklichkeit selbst. Wie muss man das verstehen?
Matthias Horx

WoW manifestiert interessante Aspekte der Kognitionspsychologie, der Spiel- und Systemtheorie. Das Spiel bildet archaische Bedürfnisse in Menschen ab, deshalb funktioniert es so gut.. Es bietet direkten Zugang zu den Belohnungs-Endorphinen, die nur dann entstehen, wenn Gefahr bewältigt wird.

Dieselben endokrinen Zustände, denen wir in Jagd, Sex, Arbeit, Liebe und Kunst begegnen, sind hier in einem verdichteten symbolischen Universum aktiv.

Interessant ist auch noch ein anderer Aspekt: die unmittelbare Rückkoppelung. Freischaltung lautet das Zauberwort: Man kann Fähigkeiten Stück für Stück lernen, das Spiel strukturiert den Prozess des Ziele-Setzens. Das wird zum Beispiel erhebliche Auswirkungen auf unser Selbstbild, auf die Strukturen unserer Lebens- und Arbeitswelt haben. Die Gamer-Generation wird dieses Prinzip der ehrlichen Sofort-Rückmeldung auch von Beruf, Liebe, Partnerschaft erwarten: Sag mir, wo ich stehe! Wie ist mein Score? Das alles deutet sich im Realraum schon an:

Laut Horx „der realen Welt ähnlicher als die Wirklichkeit selbst“: World of WarCraft.

Wir messen immer mehr. Pisa, Intelligenzquotient, Cholesterinwerte. Jetzt brauchen wir nur noch ein Spiel, das so spannend ist wie ein Dungeon, um unsere Cholesterinwerte zu verringern! Und ein Pisa-Spiel für alle Altersgruppen, das den entscheidenden Bildungsschub bringt.

Eurogamer WoW, glauben Sie, ist nur eine weitere Zwischenstufe auf dem langen Weg in den „Realraum“. Wie sieht denn die nächste Zwischenstufe aus? Was dürfen wir von WoW 2.0 oder 3.0 erwarten?
Matthias Horx

Interessant wäre es doch, wenn sich die narrativen Strukturen der MMORPGHS mit dem Internet 3.0 verbinden. Wenn wir also die riesigen Strukturen von Twitter und Facebook mit Spiel-Logiken verbinden würden. Man stelle sich vor, Unternehmen wären große MMORPGHS – und die Mitarbeiter die Spieler. Oder Familie wäre so flexibel wie ein Sims-Spiel. Vielleicht ist das ja heute eigentlich schon so. Das Problem ist nur: Die meisten Firmen und leider auch Ehen haben keine Magie, keine spannende Story zu bieten.

WoW ist eine heftige Konkurrenz für die langweilige Realität. Deshalb wird es ja so gehasst. Genau wie die Romane im 18. Jahrhundert, von denen es hieß, dass sie den Geist verwirren und irreale Wünsche wecken.

Eurogamer Das von Ihnen geprägte Wort „Floppologie“ hat mir als Video- und Computerspieler fast ein bisschen Angst gemacht, deshalb die alles entscheidende Frage: Bekommen wir denn nun eines Tages unser Holodeck oder nicht? Wie wird es funktionieren? Die Bilder, Töne und Gerüche gelangen direkt ins Gehirn?
Technolution, das Buch von Zukunftsforscher Matthias Horx.
Matthias Horx

Das Holodeck ist vor der Tür, ja. Aber wir müssen natürlich wissen, dass wir als Menschen immer schon auf einem Holodeck leben. Was sind Religion, Liebe oder Ehrgeiz anderes? Der Anthropologe Christoph Geertz schreibt: Der Mensch ist ein Wesen, das in ein selbst gesponnenes Bedeutungsgewebe verstrickt ist.

Wir leben ständig in einer Welt von Statuskämpfen, Unterlegenheitsgefühlen, Scham, Stolz, Sehnsucht, Symbolen, Zeremonien. Emotionen sind nichts anderes als Simulationsmeme in unseren Nervenbahnen. Ist das nicht Holodeck genug? Das ist ja gerade das, was man in WoW spürt – diese unglaubliche Virtualrealität der sozialen Verhältnisse. Wenn man wegen schlechter Spieltaktik von der Gruppe aus einem Dungeon rausgeschmissen wird, dann heult man manchmal reale Tränen!

Eurogamer Herr Horx, wählen Sie die rote oder die blaue Pille?
Matthias Horx

Die gelbe. Das ist die, bei der man überhaupt nicht mehr weiß, wohin man gerät. Irgendwo trifft man Alice und die rote Königin ... und muss ganz schnell rennen, um auf der Stelle zu bleiben. Das hält fit.

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