Ich glaube, Sonic Frontiers könnte mit seinem offenen Spielplatz etwas richtig machen
Takashi Iizuka erklärt das Open-Zone-Konzept.
Die Veröffentlichung von Sonic Frontiers ist gar nicht mehr so weit weg. Das umstrittene Open-World-Zone-Spiel erscheint bereits am 8. November. Durch das nicht nur rockige, sondern auch freche Outro "Vandalize" der Band ONE OK ROCK und durch immer mehr offizielle Einblicke in das Gameplay, nimmt das Spiel bereits jetzt eine konkrete Form an. Haben wir uns geirrt, als wir damals eher ernüchtert über Sonic in einer offenen Welt spekulierten, die zu sehr nach Halo aussah? Ich gestehe, meine Meinung zu Sonic Frontiers hat sich seitdem oft geändert. Die bisher veröffentlichten Szenen spiegeln nicht meine vollständige Erfahrung mit der Demo wider. Um uns ein genaueres Bild über dieses ungewöhnliche Spiel von Sonic zu machen, haben wir uns keinen geringeren als den Vizepräsidenten der Produktentwicklung von Sonic The Hedgehog Takashi Iizuka geschnappt, um mit ihm über das neueste Spiel des Franchises zu sprechen.
Sonic und das Open-Zone-Konzept
Ein Wort, das sehr oft in diesem Interview fiel, ist das Open-Zone-Konzept. Dieses beschreibt eine offene Welt, die bereits seit Jahren an das Spielgefühl von Sonic angepasst wird. Mittlerweile kann man sie kaum mehr als klassische "Open World" bezeichnen, denn diese würde auch nicht dem Stil des blauen Igels entsprechen. Iizuka erklärt sehr genau, warum das so ist: "Sonic muss die Möglichkeit haben, schnell zu rennen. Das kann er in einer großen Welt eigentlich tun, aber in vergangenen Konzepten, haben wir das nie so hinbekommen, dass es in einer freien Welt richtig Spaß macht. Es schien unmöglich, die Geschwindigkeit mit einer offenen Umgebung zu vereinen, deshalb wurde das Game-Design schon oft verworfen." Drei ganze Jahre hat das Team also an einer Welt gewerkelt, die zu Sonic passt. Ich denke, die Ängste, die wir bereits äußerten, waren auch bei den Entwicklerinnen und Entwicklern ein Thema.
Ehrlich gesagt stimmt es mich zuversichtlich, dass die Menschen hinter Frontiers sich so lange mit der Idee einer offenen Welt beschäftigt haben. Denn so bekomme ich das Gefühl, dass wir es hier nicht mit einer Trendentscheidung tun haben. Aber wie kam diese Entscheidung überhaupt zustande? Warum braucht Sonic plötzlich eine offene Welt?
"Mit 2D-Side-Scrollern hat alles angefangen. In allen Sonic-Spielen geht es um lineare 'High-Speed-Action'. Danach gab es die erste Evolution mit Sonic Adventure. Das führte Sonic in eine 3D-Welt, aber trotzdem blieb der Rest linear. Wir wollten mal etwas ganz Neues und Riskantes wagen, um das Gameplay zu erneuern. Etwas, das vorher unmöglich war: Das lineare Highspeed-Konzept in einen offenen 3D-Raum übertragen", erklärt Iizuka ganz begeistert.
Es schien unmöglich, die Geschwindigkeit mit einer offenen Umgebung zu vereinen. Deshalb wurde das Game-Design schon oft verworfen.
Ich verstehe das schon, denn genau so fühlt sich die Welt in Sonic Frontiers an. In der Demo gibt es keine unzähligen Nebenquests, keine Karte, die man kleinkariert abarbeitet und auch keine NPCs, die mir jede zwei Meter irgendein Detail über die Welt erzählen. Stattdessen kann ich frei rumrennen und stoße zufällig auf mir gänzlich fremde Strukturen oder Monster. Manchmal kann ich gegen sie kämpfen, manchmal bringen sie mich auf ganz neue Höhen, auf abgetrennte Inseln oder beschleunigen mich so stark, dass ich meine Orientierung verliere. Ständig renne ich über neue Routen oder lande auf einer neuen Plattform. Ich weiß oft nicht so richtig, wo es lang geht, aber schnell wird es egal, denn es geht immer weiter und es scheint, als lande ich intuitiv dort, wo ich sein muss. Außerdem gibt es nur ein Ziel: Punkte zu erzielen und Münzen zu sammeln.
Denn wir befinden uns auf einer fremden und etwas surrealen Insel. Nachdem ich mich so langsam an diesen ungewöhnlichen Genremix gewöhnt habe, frage ich mich, wie Sonic überhaupt in dieses Schlamassel geraten ist? Es fühlt sich auf eine skurrile Art und Weise immer noch nach dem blauen Igel an, den ich seit meiner Kindheit kenne, aber die Stimmung ist doch um einiges düsterer. Mir fällt auf, dass manchmal die schrillen Farben und ein energiegeladener Soundtrack fehlen.
Iizuka beleuchtet die Herangehensweise an die Geschichte folgendermaßen: "Die bisherigen Spiele waren wirklich immer gleich aufgebaut. Du spielst, dir wird eine Geschichte erzählt, du spielst, Geschichte und so weiter. Die Handlung wird einem also mehr oder weniger aufgedrückt. Bei Frontiers ist das ganz anders. Wir wollen, dass die Spielerinnen und Spieler die Welt von sich aus entdecken. Man wird auch von Anfang an nicht richtig wissen, worauf es am Ende hinausläuft. Wenn man also nicht aktiv etwas dafür tut, um die Mysterien hinter den Inseln herauszufinden, könnte man, was die Geschichte betrifft, bis zum Ende im Dunkel tappen."
Dazu passt auch, dass man einen ganz neuen Ansatz bei der Musik wählen musste, denn der Soundtrack will die Emotionen widerspiegeln, die man beim Erkunden durchleben soll. Iizuka beschreibt das so: "Die Musik ist deutlich filmischer als in den vorherigen Spielen. Alles wirkt düster und geheimnisvoll. Sonics Freunde wurden schließlich entführt und alle landen auf einer mysteriösen Insel, was geht da vor sich? In der Musik soll sich Nervosität, Angst und etwas Geheimnisvolles widerspiegeln. Es geht um die Emotionen, die die Person hinter dem Controller fühlt."
Auch das deckt sich mit meinen Erfahrungen. Als ich auf dieser mysteriösen Insel ankomme, muss ich Knuckles aus einer Kapsel befreien. Dazu wird eine bestimmte Anzahl an Punkten benötigt, die ich an allen möglichen Orten finde. Ob ich für diese Punkte Rätsel löse, neue Orte entdecke oder gegen Bosse der Insel kämpfe, ist am Ende egal. Das erinnert mich an einen guten alten Konkurrenten von Sonic: Den italienischen Klempner mit der roten Mütze, mit dem Präfix "Super" und dem Suffix "64". Nur in einer düsteren Version. Ich stelle mir vor, wie die weiteren Inseln wohl verlaufen und muss zugeben, selbst wenn jede Insel genau so ist wie diese, hätte ich trotzdem mächtig Spaß. Ich stoße dann auf ein Level, das in einem Cyberspace spielt und da finde ich ihn: Den alten Sonic, der wie in einer Arcadehalle auf seinen linearen Wegen geradeaus saust und sich nicht um eine offene 3D-Umgebung Gedanken macht.
"Es gibt Highspeed-Action, Puzzles, Collectibles und alle diese Dinge existieren gleichzeitig in einem Raum. Man muss aber nicht alles davon machen, um weiterzukommen. Wir wollen Spieler nicht dazu zwingen, etwas Bestimmtes zu nutzen, sondern viele unterschiedliche Möglichkeiten bieten. Dazu gehört auch das 'Cyberspace'. Das ist die Zone, in die man kommen kann, um dieses klassische, lineare Sonicspielgefühl zu bekommen, von dem wir wissen, dass es viele Fans immer noch lieben", erzählt mir Iizuka. Traurig muss ich dann feststellen, dass im Cyberspace keine alten Tracks zu hören gibt, was sich irgendwie angeboten hätte. Und dazu kommt, dass Tomoya Ohtani, der bereits in vielen Titeln die Musik komponierte, auch bei Frontiers für den Soundtrack zuständig ist. Die Musik im Cyberspace wird trotzdem nach Arcade klingen.
Und sofort ertönt "It Doesn’t Matter" von Tony Harnell und Jun Senoue in meinem Kopf. Na toll, den Ohrwurm bekommt ihr jetzt auch:
Aber was ist eigentlich mit den ganzen Monstern auf der Karte? Dass Sonic plötzlich eigene Echtzeitkämpfe bekommt, ist ja nun wirklich neu. "Früher hatte Sonic die Möglichkeit, mit einem Knopf Angriffe auszuführen, weil das am besten zu unserem sehr schnellen Spieldesign gepasst hat. Die Grundlage war immer, in einem linearen System so schnell wie möglich das Ziel zu erreichen. Würde man einfach einen Boss in die Mitte dieses Ziels packen, wäre das lediglich eine mühselige Störung. Es gibt hier und da auch richtig schwere Bosse, die man nicht mit ein paar Attacken besiegen kann. Aber sie stehen nicht zwangsläufig zwischen Sonic und dem Ziel. Solche Bosse geben Sonic die Möglichkeit, sich weiterzuentwickeln, indem sie neue Fähigkeiten freischalten", fügt Iizuka hinzu. Für ihn scheint es zu Sonic zu passen, dass dieser sich inzwischen in einem Echtzeitkampf gegen große Cyberpunk-Maschienen austoben kann.
Am Ende sind die Boss-Monster nicht so wichtig. Wichtig ist, dass sie interessant genug sind und eine weitere Komponente für diesen riesigen Spielplatz bieten. Iizuka hat es so formuliert: "Der Fokus ist eine Insel, auf der es richtig viel zu tun gibt. Wenn man ankommt, soll sich die Frage aufdrängen: Wo soll ich bloß anfangen?" Bei Sonic Frontiers soll man sich austoben und Spaß haben, einem soll nie langweilig werden.
Auch der Film hat hier eine große Rolle gespielt. Das Sonic Franchise ist auf dem direkten Weg zum Mainstream und SEGA befeuert das mit Bands wie ONE OK ROCK oder weiteren Filmen. Das neue Spielkonzept macht unter diesen Aspekten total Sinn. Es wird beispielsweise einen Action-Modus und einen Speed-Modus geben, wobei letzterer den jahrelangen Fans, die mehr herausforderndes Sonic-Gameplay wollen, genau das bieten will. Iizuka bestätigt das: "Dieser Film hat sehr viele neue begeisterte Menschen erzeugt, die noch nie in ihrem Leben auch nur ein Sonic-Spiel selbst gespielt haben. Wir wollen diesen Fans eine Möglichkeit bieten, das Spiel zu genießen. Wir wissen aber auch, dass die langjährigen Kenner sehr gut mit Sonic umgehen können und herausgefordert werden wollen."
Ich finde, daran ist nichts verwerflich. Dass sich Sonic weiterentwickelt, ist nicht überraschend. Die Frage ist nur: Wird er es schaffen, bei Frontiers so viel Spaß zu vermitteln, dass man die ungewöhnliche Welt vergisst oder sie im besten Falle ins Herz schließt? Zu meiner positiven Überraschung kann ich trotz anfänglicher Skepsis sagen, dass mir das Anspielen mächtig Spaß gemacht hat! Ich habe richtig Lust auf das finale Spiel, aber nicht nur, weil Iizuka so voller Energie über Frontiers gesprochen hat - das ist ja schließlich sein Job. Vielmehr war es die flüssige und schnelle Steuerung, die einen guten Flow in die neue Welt brachte, egal ob beim Puzzeln, Entdecken oder Kämpfen. Auch das Open-Zone-Konzept ließ mir genug Freiheiten, gab mir gleichzeitig trotzdem eine Richtung vor und belohnte meine spontanen und intuitiven Einfälle. Ich fühlte mich tatsächlich wie auf einem großen Spielplatz, der mir zeigt, wo die Rutsche oder das Klettergerüst ist - mich dann aber selbst entscheiden lässt, worauf ich am meisten Lust habe.
DLCs oder weitere Extras sind bisher übrigens überhaupt nicht geplant. Außerdem möchte Takashi Iizuka, dass Sonic im 3D-Action-Genre bleibt, denn dort glänze er am meisten. Einen kleinen Hoffnungsschimmer habe ich aber noch für Fans der Sonic-Rennspiele: "Es gibt natürlich schon andere Genres, die wir mit Sonic erkundet haben. Beispielsweise Team Sonic Racing, was ein Rennspiel ist, das immer noch viele Actionanteile hat. Wir würden das in Zukunft gerne weiter erkunden. Aber auch andere Genres, die zu diesem Actionkonzept passen, schließen wir nicht aus", erklärt Iizuka ganz offen.